Kategorie: Neu erschienen

Erfolg „“Erfolg““

„Ich nenn‘ mich jetzt Erfolg, dann habe ich in meinem Leben immer Erfolg“ singt Erfolg im Song „Erfolg“ auf seinem Debut-Album „Erfolg“. Ganz schön dick aufgetragen, möchte man meinen, aber keine Angst: der will nur spielen. Er ist Johannes von Weizsäcker, Berliner Musiker, der statt „Rock“ im weiteren Sinne auf seinem Erstling, ja was eigentlich genau macht? Chanson? Kabarett? Pop? Das Erbe von Andreas Dorau und Max Goldt verwalten? Hier können wir nur mit einem entschiedenen „Vielleicht, vielleicht auch nicht“ antworten. Der beste Weg zum Erfolg ist, zunächst unbefangen seine Platte zu hören. Schnell wird klar, dass die angenehme – im weiteren Sinne – Popmusik sich dem Sprechgesang von Weizsäcker unterordnet. Wo dessen stimmliche Qualitäten nicht weiter reichen, hilft „“Der beste Damenchor aller Zeiten““, der natürlich genau das nicht ist, sondern eine muntere Ansammlung sangeskundiger Damen im Berliner Popformat. Das macht aber überhaupt nix, denn die Miniaturen oder Moritaten Weizsäckers, pardon: Erfolg, handeln von Leuten wie dem „Brillenmann“, der im angesagten Hauptstadtchic allerorten bei Konzerten, Lesungen oder Vernissagen Gesichtspflege betreibt. „Mausmann“ erweitert die Betrachtung prekärer Existenzen um einen zeitweiligen Fondsmanager, der gerne kocht, im Fernsehen zu Ruhm kommt und sein Leben fern aller deutschen Kochtöpfe beschließt und der „Gute Mann“ wird mit Verve besungen, jedoch aus ironischer Sichtweise. Das alles ist gut gemacht und beobachtet, aber trotzdem nur Musik für „gewisse Stunden“, die aber in jenen genau richtig ist. So ist das Leben, zumindest jenes von Teilen des Berliner Szenebiotops, das allen Tendenzen der Gentrifizierung zum Trotz – oder gerade deswegen? – wächst und gedeiht. Angenehm daran, daß das gewisse Pathos und – seien wir offen – die bisweilen große Berliner Schnauze hier fehlen, sondern stattdessen hintergründiger Humor, sanfte Ironie, leichte Melancholie und geschärfte Beobachtungsgabe dominieren. Zwar etwas textlastig, das Ganze, aber „mal was anderes“ aus dem kleinen deutschsprachigen Eck im Pop-Universum.[rating=3]

 

 

Lymland „Rymdar“

lymland_rymdar_artwork[rating=3]Filmmusik ohne Film, oder: Klänge, welche die Imagination des Hörers beflügeln sollen.

Es ist durchaus ambitioniert, was das junge schwedische
Duo Lymland hier auf seinem zweiten Album „Rymdar“ zum Besten gibt. Sonja Perander und Jerker Kaj verzichten dabei auf
Gesang und allzu plakative Elemente, sondern setzen mit Synthies, Piano, Gitarren und unterstützenden weiteren Instrumenten wie Glockenspiel, Trompete und Cello auf ruhige, fließende Klänge. Beinahe könnte man an Minimal-Sound denken oder Brian Enos „Music for Airports“. Die neun Titel strahlen Harmonie und Ruhe aus und bilden in ihrer Gesamtheit einen reizvollen, ruhigen Klangfluss.

Das kommt einfach und ohne großes Programm daher und weckt, die an lange filmische Einstellungen von Naturmotiven denken lassen. Tatsächlich bezieht sich das Duo auf die Filme des schwedischen Regisseurs Roy Anderson, deren Kenntnis für den Hörgenuss jedoch nicht unerlässlich ist.
Obwohl in den einzelnen Stücken nichts wirklich Spektakuläres passiert, dringen die eher sanften Klänge aufs Angenehmste ins Ohr, um sich durch die Gehörgänge ins Gehirn fließend und warm zu verbreiten. Daher sind die einzelnen Titel eher als Teil eines größeren Ganzen gedacht, das Momente der Entspannung und Ruhe im großstädtischen Gewusel erzeugt.

Programm-Musik also? Vielleicht – aber nicht, um Wohlfühlatmosphäre für Konsumenten in Shopping-Centern zu erzeugen, sondern vielmehr um dem unablässigen Strom an hektischen Sinnesreizen für die Dauer eines Albums zu unterbrechen. Das gelingt gut. Und obwohl sie nicht auf Dramatik setzt, propagiert die Band auch nicht die reine Idylle. Mit bewusst einfach gehaltenen Stücken bietet das Dzo mit gelegentlichen Störgeräuschen durchsetzte Harmonie. In seiner Konsequenz über die gesamte Länge eines Albums kann man diesen Ansatz beinahe schon radikal nennen.

Trotzdem das bestimmende Element der Kompositionen Wiederholungen mit langsamen Veränderungen sind, zeigen Sonja Perander und Jerker Kaj auch, dass sie ein Händchen für Melodien haben. Die beiden Musiker sehen aus wie Hipster, kleiden sich wie Hipster und machen demnach also Musik für Hipster? Nicht ganz: Der Spaß, der sich einstellt, wenn man sich auf Konzept und Klang einläßt, erfordert weder Coolness noch Stilbewußtsein – und schon gar keine Abgrenzung von allem möglichen. Neugierde und Offenheit reichen. Nicht jeder Moment auf „Rymdar“ überzeugt; aber alles in allem verdient diese sympathische junge Band viele Zuhörer. Und wir Hörer wiederum haben bei all dem hektischen Gedudel, das aus vielen Lautsprechern klingt, auch mal eine angenehme Unterbrechung verdient.

Archive „Restriction“

restriction[rating=2]Streckenweise überzeugend, in anderen Momenten beliebig

Archive gehörten seit ihrer Gründung 1994 durchweg zur Regionalliga der britischen Musikszene. Die Gründe mögen häufige Besetzungswechsel, ein hörbarer Mangel an eigenständigen musikalischen Ideen oder einfach der Umstand gewesen sein, daß es stets bessere andere Bands des gleichen Genres gab. Ihr neues Album „Restriction“ ist keineswegs geeignet, dies nachhaltig zu ändern, was ein wenig schade ist. Immerhin bietet es einige überraschende Momente, so etwa im Eröffnungssong „Feel it“, auf dem New-Wave-Schrammel-Gitarren aufs Angenehmste das Synthie-Gewaber und die klagende Stimme unterbrechen. Aber bereits im Titelsong des Albums, „Restriction“ langweilen die Herrschaften mit Endlos-Klangschleifen und repetetiven Rhythmen. Der dritte und vierte Song, „Kid Corner“ und „End of our Days“, klingen wie aus dem Archiv von Morcheeba – aber die hatten sowohl bessere Synthies als auch mehr Pop-Appeal.

Die Sänger wechseln sich ab, die Klänge und Ideen ebenso. Das wäre nicht schlecht, wenn man nicht ständig das Gefühl hätte, dass sich die Akteure allzu häufig aus dem Fundus bekannter Arrangements, Ideen und Klängen anderer Leute bedienten. Vielleicht heißt die Band deshalb Archive?
Wir wollen jedoch nicht ungerecht sein. Wie die Band auf „Third Quarter Storm“ den schnulzigen Wohlklang durch Lärm-Einschübe stört, ist ganz hübsch. Und wenn auch das Getrommel auf „Ride in Squares“ nicht wirklich neu ist, so gefällt es dennoch. Dagegen langweilen Titel wie „Crushed“, denn eine wirkliche Idee oder auch nur etwas Spannendes konnte ich darin nicht ausmachen. Dafür versöhnt das irgendwie an Bond-Titelsongs (aus der Adele-Phase) erinnernde Ballade „Black and Blue“ ein bißchen. Den Abschluß bilden zwei längere Titel: „Greater Goodbye“ und „Ladders“, die „Restriction“ jedoch nichts mehr Wesentliches hinzufügen, sondern erneut den Bogen von Lärm zu Pop und zurück schlagen – große Momente inklusive. Am Songwriting sollten „Archive“ aber weiter arbeiten und vielleicht beim nächsten Mal versuchen, sich ein wenig stärker zu fokussieren. Aber fürs Durchhalten seit 1994 gibt’s einen Extra-Bonus.

Bryan Ferry „Avonmore“

ferry cover[rating=3] konsequent vertraut

Die Rock-Musik ist mittlerweile in den Status der musealen Konservierung getreten. Rock-Dinosaurier liefern aufwändige Boxen als Werkschauen, mit dem einen oder anderen Outtake oder alternativen Fassungen bekannter Songs als Zuckerl. Und die mit den Akteuren gealterten Hörer kaufen brav ein ums andere Mal. Bryan Ferrys bereits im November letzten Jahres erschienenes Album „Avonmore“ paßt ganz gut in diese Kategorie, auch wenn der mittlerweile 69-Jährige Sänger keineswegs vorhat, eine ’schöne Leich‘ abzugeben, sondern neue Kompositionen vorlegt.
Wo Ferry draufsteht, ist aber auch Ferry drin, wenngleich das Coverfoto und seine Stimme verdächtig jung aussehen und klingen. Im realen Leben sieht unser Mann für einen Endsechziger proper aus, und was die Tontechniker anstellen, um den samtenen Schmelz der Stimme zu erzeugen, wollen wir so genau gar nicht wissen. Diese klingt nämlich keineswegs nach einem Mann, der im siebten Lebensjahrzehnt steht. Bereits die ersten Takte von „Loop de Li“ erscheinen konsequent vertraut und ganz so, als ob die letzten dreissig Jahre spurlos an Mr. Ferrys Musik vorbeigegangen wären. Macht aber nix, denn der musikalische Kosmos Ferrys seit „Avalon“ ist sattsam bekannt und wird in diesem Opus auch kein bißchen erweitert. Hochkarätige Begleiter wie Nile Rogers oder „Smiths“-Gitarrengott Johnny Marr, Bassist Marcus Miller und andere Edelsöldner sorgen für gediegene Qualität, Ferry ist stimmlich – wie auch immer – auf der Höhe, und die gediegene Mischung aus Ennui, Melancholie und flotteren Momenten wie in „One Night Stand“ machen „Avonmore“ zu einem hörbaren Album. Bei der großartigen Schnulze vom seligen Robert Palmer, „Johnny and Mary“, dem letzten Song des Albums, kommen nostalgische Gefühle auf – ewig nicht mehr gehört, aber das Original gefällt besser.
„Avonmore“ ist eine nette Platte, die zwar keine Überraschungen bietet, aber immerhin einen gut aufgelegten Bryan Ferry, der auch mit 69 noch keine Lust auf Rente hat. Er geht zwar sparsam mit seinem Potential um, hat aber immerhin noch nicht alles Pulver verschossen , auch wenn dieses noch aus den späten Achtzigern bis Neunzigern des letzten Jahrhunderts stammt.ferry cover

Albin Bruhns Nah Quartett „Wegmarken“

Albin Bruhns Nah Quartett "Wegmarken"

Albin Bruhns Nah Quartett [rating=3] Die Wurzeln im Boden, den Kopf im Wind

Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht eine neue Gruppe vorgestellt wird, die die heimische Volksmusik neu interpretiert und die – Überraschung, Überraschung – mit ethnischer Musik anderer Länder kreuzt. Albin Brun ist keiner, der mit seiner Melange noch schnell auf den Zug aufgesprungen ist. Er wandelt schon lange zwischen Jazz und Neuer Volksmusik und mischt mit der Interkantonalen Blasabfuhr schon seit den 90er-Jahren Freejazz und Marschmusik. Vor wenigen Jahren verschmolz er die Musik seines Nah-Quartetts mit den Klängen eines weißrussischen Frauentrios.

Jetzt legt er seine „Wegmarken“ vor. Diese findet er erwartungsgemäß nicht nur in der Heimat, sondern auf dem Balkan ebenso wie im arabischen Raum, in Frankreich, Brasilien oder im südlichen Afrika. Albin Brun geht es jedoch nicht darum, möglichst viele Stile aufzugreifen. Es geht ihm also nicht um oberflächliche Originalität, sondern um Empfindungen – und das spürt man durchweg. Albin Brun interpretiert nicht fremdländische Musik, sondern eignet sich einzelne Elemente an, um Stimmungen zu kreieren, um seine Gefühle und Impressionen auszudrücken. „Die Wurzeln im Boden, den Kopf im Wind“, beschreibt er es selbst.

Hinter jedem Stück steht eine persönliche Erinnerung. Dass er diese erklärt, ermöglicht einen kurzen Blick auf die Person. Das ist schön, aber letztlich von geringer Bedeutung. Denn die Kompositionen sprechen für sich selbst. Sie sind von stiller Schönheit und selbst dann noch unaufgeregt, wenn es ausgelassen oder jazzig wird.

Offizielle Homepage von Albin Brun

(Foto: Doublemoon)

Röyksopp „The Inevitable End“

Röyksopp "The Inevitable End"

Röyksopp [rating=2] Abschied vom Albumformat leicht gemacht: zunehmend einschläfernd und langweilig.

Röyksopp, die norwegischen Synthiepopper, haben mit „The Inevitible End“ nach eigenem Bekunden ihr fünftes und letztes Album veröffentlicht. Aha, Trennung, mag der Hörer denken, doch weit gefehlt: »Wir haben das Gefühl, das wir uns hiermit vom traditionellen Albumformat verabschieden«, so einer der beiden, und: »Wir werden jetzt nicht aufhören, Musik zu machen, aber das Format des Albums als solches hat für uns jetzt ausgedient und dies ist die letzte Art dieser Veröffentlichung von uns.«

›Was zum…‹ denkt der da der geneigte Musikfreund, der bislang brav LPs, Cassetten und CDs in seiner Wohnhöhle gestapelt hat. Aber klar: In Zeiten permanenter digitaler Verfügbarkeit und Speicherung von Äußerungen, Bildern und Tönen jedweder Art ist das ‚Album‘ ein liebenswerter Anachronismus, dem bald vielleicht nur noch ergraute Rockfans hinterher trauern werden. Nicht ganz so fortschrittlich ist jedoch das, was auf dem digitalen Speichermedium erklingt. Solide elektronische Hausmannskost mit teilweise ganz netten Melodien und Sängern, die uns Worte ins Ohr wispern, die gleich wieder verfliegen auch wenn das Duo uns weismachen will, dass dies ihr »persönlichstes Album« sei, mit einem besonderen Schwerpunkt auf den Texten. Gemach! Röyksopp werden dadurch nicht zu ‚Liedermachern‘, sondern bleiben bei ihren Leisten. ‚Pop‘ war ja stets auch eine polierte Projektionsfläche, die einlud, das Gesehene – den ‚Star‘ – und das Gehörte – die Musik – mit Bedeutung beliebiger Art aufzuladen. Eine Art Zauberspiegel eben, der mit seinen universellen Botschaften dazu angetan ist, nahezu alles zu spiegeln, was man (als Konsument) gern sehen und hören möchte. Allerdings klingt die mitwirkende schwedische Sängerin Robyn mitsamt den Vokalarrangements gelegentlich verdächtig nach ABBA und Textzeilen wie »I never thought I would change until I met you« oder »What the Fuck is wrong with you« sind nun wirklich nicht der Gipfel intimer Bekenntnisse.

Die eigene Handschrift vermisst man folgerichtig auch in der Musik, die wie eine Synthese elektronischer Dance- und Popklänge der letzten Jahre klingt. Die Songs sind weitgehend austauschbar, plätschern dahin und machen – zumindest mich – schläfrig. Vielleicht ist Röyksopps – angekündigter Abschied vom Albumformat daher nur eine Art Pfeifen im Wald. Immerhin hätte ein Download aus dem Internet den Vorteil, dass der Hörer sich nur die seltenen spannenden Momente aus „The Inevitable End“ hätte herauspicken können. Wer weiß: Vielleicht wollten Röyksopp mit ihrem ‚letzten‘ Album den Hörern neue Formate schmackhaft machen?

Veras Kabinett „Ungetüm“

Veras Kabinett "Ungetüm"

Veras Kabinett [rating=2] Schwache Texte zu einer schönen musikalischen Bandbreite

Dass wir alle Egoisten seien führte uns der kürzlich verstorbene FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher in seinem letzten Buch vor. Eine Klage, die man – auch wenn sie immer wieder von Menschen entschärft wird, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen – periodisch vernimmt. An einer Veränderung zweifelnden Kulturpessimisten macht Vera Mohrs Mut. „Wir glauben daran“, singt sie für eine nicht näher bezeichnete Gruppe. Das macht sie allerdings so kleinmädchenhaft, dass man ihr nicht unterstellen möchte, dass es tatsächlich zu sinnvollen Veränderungen kommt.

Mohrs‘ Herangehensweise ist der eines Frank Schirrmacher diametral entgegengesetzt: derart naiv, dass sie es bereits mit den ersten Songs beinahe schafft, alles zu ruinieren und man sich nach bissigen Kritikern wie Heinz Ratz sehnt. Mit welcher sprachlichen Wucht hätte dieser besungen, wie gnadenlos die männlichen Küken in den Hühnerzuchtanstalten aussortiert und getötet werden? So aber bleibt es doch bei der richtigen Einstellung – aber der Wille zählt nicht für das Werk. Ihre Themen sind mitunter abgekaut („Püppchen II“), und immer wieder gibt es schiefe Bilder. So schaukelt sich Karussell hoch, und die dem Tod geweihten Küken sind eine „tapfere Legion“.

Das ist schade, denn musikalisch ist das von einigen Gastmusikern unterstützte Trio durchaus gediegen. Es zeigt sich mal schlicht und dann wieder elegisch, bietet sanft rockige Einwürfe oder gibt sich romantisch-düster. Die Sängerin garniert zwar ihre Melodien immer wieder mit überflüssigen Verzierungen, aber ihre Stimme ist – wenn sie nicht allzu sehr ins Naive gleitet – einnehmend.

Offizielle Homepage von Veras Kabinett

(Foto: Traumton)

Lily and Madeleine „Fumes“

Lily and Madeleine Fumes Cover[rating=2]Netter Folk-Pop mit geringem Tiefgang.

Lily and Madeleine fahren Boot – beziehungsweise: Sie liegen verträumt in einem Ruderboot, das auf ruhigen Gewässern treibt. Schön anzusehen, die sich räkelnden jungen Damen.
Keine Spur von ‚giftigen Dämpfen‘ („Fumes“), nirgends, nicht ein Hauch von Gefahr. Stattdessen dominieren wie schon beim letztjährigen Debüt der beiden Schwestern zuckersüße Harmoniegesänge. Tolle Stimmen, keine Frage, wenn auch mit typisch amerikanischem Zungenschlag, was die Art und Weise des Gesangs anbelangt. Das können die beiden.
Im Ergebnis bekommt der Hörer eine Mischung aus radiokompatiblem Pop und Folk-Pop light, teils opulente Ararrangements, stimmlichen Wohlklang und eher harmlose Texte, die problemlos auch auf Radiostationen des mittleren Westens gut ankommen dürften. Auch eine verhallte Prise Lana del Rey fehlt nicht. Ist das nicht ein bißchen viel?

Schon der Karrierstart der siebzehn und neunzehn Jahre alten Damen aus Indianapolis mutet an wie am Reißbrett von einem cleveren Produzenten erdacht. Der Legende nach stellten Lily und Madeleine selbst produzierte Videos bei Youtube ein, die – Überraschung! – nicht nur sehr gut waren, sondern auch massenhaft angeklickt worden sein sollen. Danach kam es, wie es kommen musste: Ein lokaler Produzent – Paul Mahern, der unter anderem für John Mellencamp gearbeitet hat – wurde auf sie aufmerksam. Mit Hilfe des Songwriters Kenny Childers, ebenfalls in Bloomington, Indiana ansässig, entstanden etliche Songs und bald folgte das Debutalbum.
Auch wenn „Fumes“ ohne diese beiden und ohne die Mitwirkung ungenannter, versierter Studiomusiker nicht denkbar wäre, sind Lily and Madeleine wohl keine Marionetten in Händen abgezockter Manager und Produzenten. Dafür stehen sie in den zehn Songs des Albums doch zu sehr im Mittelpunkt. Jedoch offenbart das Cover vielleicht unfreiwillig, daß andere die Ruder in der Hand zu halten scheinen, während ‚Lil and Mad‘ versonnen übers tiefe Wasser gleiten. Hoffentlich zieht kein Sturm auf …

Auch wenn ihrer Musik (noch) die unverwechselbare Handschrift fehlt – Ecken und Kanten leider ebenso –, versöhnen der stimmliche Wohlklang und die entspannte, leicht wehmütige Stimmung des Albums. Das ist für Herbsttage, golden oder regnerisch und stürmisch, ganz nett.

Various Artists „A Tribute to Nils Koppruch + Fink“

VA_Tribute_Cover_shot Vielseitige Hommage und kleine Werkschau

Nachdem uns mit Nils Koppruch (1965-2012) einer der besten und für mich wichtigsten deutschsprachigen Liedermacher verlassen hat, saß der Schock in der Szene tief.

Der Maler und Songschreiber (Fink, Kid Kopphausen, Nils Koppruch solo) hat nicht nur ein tiefes Loch im Kosmos der ernstzunehmenden deutschsprachigen Musikszene hinterlassen, sondern auch eine Frau und einen Sohn.
Um diesem großartigen Musiker und Menschen zu gedenken und wenigstens etwas zur Familienkasse beizutragen, hat sich eine illustre Gesellschaft von Mitmusikern, Freunden und Szenegängern zusammengefunden.

„A Tribute To Nils Koppruch + Fink“ heißt die Doppel-CD (28 Songs) mit der – trotz so unterschiedlicher Musiker wie Gisbert zu Knyphausen, Olli Schulz, Knarf Rellöm, Bernadette la Hengst, Kettcar usw. – ein erstaunlich vielseitiges und doch homogenes Werk entstanden ist. Nicht zuletzt ist dies natürlich auch dem herausragenden Ausgangsmaterial geschuldet.

Für Fans ein Muss, für Neulinge ein guter Einstieg, der dann aber mit der gleichzeitig erschienenen kompletten Werkschau in der 12er-Box vertieft werden sollte.

(Cover: add-on-music)