Kategorie: Neu erschienen

Rebekka Bakken „Little Drop Of Poison“

Rebekka Bakken "Little Drop of Poison"

Rebekka Bakken [rating=5] Tom-Waits-Songs in gelungenen Big-Band-Arrangements und phantastischer Sängerin

Es kann wohl kaum ein Zweifel daran bestehen, dass Tom Waits zu den besten Songwritern der letzten 40 Jahre zu zählen ist. Seine bittersüßen Lieder von Verlierern, Trinkern, Huren, Träumern, armen Schluckern und Sonderlingen sind zeitlose Geschichten, ein Spiegel der Realität jenseits der Hochglanzfassaden der heilen Welt der Bürgerlichkeit. Dabei wechselt Waits musikalisch geschickt zwischen Jazz, Blues und Rock-Einflüssen, bleibt aber bei allem seinem eigenen Stil treu.

Kaum verwunderlich, dass die Liste der arrivierten Künstlerinnen und Künstler, die seine Songs über die Jahre gecovert haben, ebenso lang, wie bunt ist: Von Tim Buckley über Bruce Springsteen, Bon Jovi (sic!), Rod Stewart (sic!!) und Bob Seger zu Diana Krall, Norah Jones, Holly Cole, Scarlett Johansson, Peter Gabriel und zuletzt Rebekka Bakken auf dem vorliegenden Album „Little Drop Of Poison“. Und dieses Album hat es wirklich in sich …

16 (auf der Deluxe-Edition sogar 18) Songs hat die norwegische Sängerin ausgewählt, die der Arrangeur Jörg Achim Keller für die Bigband des hessischen Rundfunks, eine der besten Adressen für moderne Bigband-Musik weltweit, kongenial bearbeitet hat. Dabei fielen die Arrangements so unterschiedlich und facettenreich aus, wie die Vorlagen von Waits selbst: Mal poetisch-kammermusikalisch, mal im satten New-Orleans-Sound, mal bluesig, mal mit einer großen Portion Swing. Dazu kommt die vielschichtige Stimme Rebekka Bakkens mit der deutlichen Diktion einer engagierten Geschichtenerzählerin, die mal croonert, mal faucht und kratzt, mal klagt, mal durch traurige Schönheit verzaubert..

Rebekka Bakken und ihren Mitstreitern der hr-Bigband ist das schier Unmögliche eines Cover-Albums gelungen: Sie haben den ureigenen Charakter der Songs nicht verändert und sie dennoch nicht schnöde 1:1 kopiert, sondern geistesverwandt neu erschaffen und so neue, bisher verborgene Aspekte herausgearbeitet. Rebekka Bakken erweist sich nicht nur als technisch brillante, sondern auch als außergewöhnlich wandlungsfähige Sängerin mit geradezu schauspielerischen Fähigkeiten.

Fazit: Dies ist eines der besten Cover-Alben, das ich in den letzten Jahren gehört habe. Ein Album für Tom-Waits-Aficionados und -Skeptiker, für Jazz-Fans und Freunde intelligenter und authentischer Songs.

 

Album-Preview bei Spiegel Online

Bisherige Rezensionen zu Rebekka Bakken auf schallplattenmann.de

Bisherige Rezensionen zu Tom Waits auf schallplattenmann.de

Rebekka Bakken in der Wikipedia

 

(Bild oder Foto: Networking Media)

Deep Purple „In Concert ’72“ (2012 Remix)

Deep Purple "In Concert '72"

Deep Purple [rating=3] Statt bombastischer Live-Atmosphäre, ein fast intimes Club-Konzert von Deep Purple. Fast.

Kaum eine andere Band verwaltet ihren (Back-)Catalogue so sorgfältig wie Deep Purple. Neben den heute üblichen zyklischen Remaster- und Remix-Runden der regulären Studioalben, die die Fans alle paar Jahre immer wieder zum Kauf ein und derselben Platte bewegen sollen (am besten mit obskuren Bonus Tracks), kümmern sich Deep Purple sorgsam um das vorhandene Live-Material, sei es um das offizielle, sei es um das halb-offizielle, das jahrelang gar nicht oder nur aus halbseidenen Quellen zu beziehen war.

Nur wenige Wochen vor der Veröffentlichung ihres sechsten Studioalbums „Machine Head“ (VÖ.: 25. März 1972) lud die BBC Deep Purple am 9. März zum exklusiven Radiokonzert (für die Reihe ‚Sound of the Seventies‘) ins Paris Theatre in der Lower Regent Street in London ein. Die Band nutzte den Gig, um das neue Album zu promoten und spielte es fast vollständig, darunter auch das berühmt-berüchtigte „Smoke on the Water“ zum allerersten Mal live. Der Club war klein und entsprechend ‚intim‘ war die Atmosphäre – naja, so intim wie halt Deep Purples Hardrock überhaupt sein kann.

Man merkt, dass die Band sich des vollen Potentials der neuen Songs (darunter auch solche Klassiker wie „Highway Star“, „Lazy“ und „Space Truckin’'“) noch nicht ganz bewusst ist, die nur einige Monate später im August in Japan so kunstvoll zelebriert werden sollten. Ausgerechnet „Smoke on the Water“ (man beachte bitte das leicht verblueste erste Riff!) kommt vielleicht etwas verhalten, ja von Gillan sogar etwas hüftsteif daher, in anderen Nummern duellieren sich Blackmore und Lord bereits auf höchstem Niveau nach bekannter Art und Weise. Außerdem enthält das Album die selten live gespielten Nummern „Never Before“ und „Maybe I’m a Leo“, letztere mit besonders beschwingtem Groove.

Der Sound des 2012 erstellten Remix (ursprünglich exklusiv für die Vinyl-Ausgabe des Albums) ist satt und druckvoll. Er transportiert die purer Energie, die die Band selbst bei solch einem ‚kleinen Gig‘ entwickelte, sehr gut. Mag sein, dass die Gruppe zu diesem Zeitpunkt schon inneren Spannung ausgesetzt war, der Chemie auf der Bühne tat dies keinen Abbruch.

Natürlich ist „In Concert ’72“ keine zweite „Made in Japan“ und kann das epochale Live-Album (das vor kurzem übrigens in einer tollen Deluxe-Ausgabe wiederveröffentlicht wurde) nicht ersetzen. Aber als sinnvolle Ergänzung, um Deep Purple auf dem Zenit ihres Erfolges mal von einer anderen, ‚intimeren‘ Seite kennenzulernen, taugt das Album allemal. Und sei es auch nur, um festzustellen, dass die legendäre Mk.II-Besetzung auch im kleineren Rahmen eine unglaubliche Power aufbauen konnte.

Bisherige Rezensionen zu Deep Purple auf schallplattenmann.de

http://www.deeppurple.com

(Bild oder Foto: Networking Media)

Coconami „San“

Coconami "San"

Coconami [rating=3] Ein bayerisch-japanischer Ukulele-Culture-Clash

Die beiden Musiker von Coconami haben ihr drittes Album „San“ betitelt. Wir sind noch da, oder wir sind immer noch da, könnte man als Bayer da etwas frotzelig heraushören. „San“ bedeutet aber auf japanisch schlicht und einfach ‚drei‘.

Als eine Art japanisch-bayerischer Ukulele-Culture-Clash begleitet uns die Band nun schon seit einigen Jahren; nun wurden wieder einige bekannte Ohrwürmer und ein paar Traditionals ukulelisiert bzw. coconamisiert.
„Ghost Riders In The Sky“ ist nun ziemlich stark abgespeckt, „Azzurro“ von Paolo Conte (bzw. von Adriano Celentano, der es bekannt gemacht hat. Anm. d. Red.) wird sogar gesprochen. Dieses Konzept funktioniert wieder erstaunlich gut, den manchmal etwas ausgelutschten Originalen wird so frischer Wind eingeblasen. Ein paar Eigenkompositionen fügen sich nahtlos ein.

Mein persönliches Highlight heißt „Dicke Bäckerfrau“ und wird vom Gastmusiker Ken Hatada vorgetragen. Das Lied handelt von der hiesigen (Un-) Freundlichkeit der Dienstleister: »Schau mich nie wieder so an, wenn ich Dir Dein Brot abkauf‘« heißt es in der ersten Zeile.

„Gut, dass es Euch noch gibt“ (Ferdl Schuster ist auch wieder dabei) möchte man am Ende des Albums sagen und „So weit sind Bayern und Japan dann doch nicht auseinander“.

(Cover: Trikont)

Folly and the Hunter „Tragic Care“

Der Schallplattenmann bloggt… (Keine Vorschau vorhanden)

[amazon_image id=“B00C205BUU“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Folly and the Hunter „Tragic Care“[/amazon_image][rating=4]Eingängige Melodien, authentische Texte: Anhören!

Die Jugend von heute ist auch nicht mehr so wie früher. In den seligen 60er- und 70er-Jahren beklagten die Jungs hinterm Mikro direkt und unverblümt den sexuellen Notstand (und hofften auf Abhilfe nach der Show) oder riefen trotzig einen Ein-Mann-Aufstand aus. Die Texte von Nick Vallee hingegen, dem Sänger und Texter der jungen Montrealer Band Folly and the Hunter, erreichen beinahe literarisches Niveau. Kostprobe? »You have claimed to have made it beyond the disguises and through the folly. By the time I met you I was far behind where I thought I’d be.« („Mask“)

Doch nicht nur die Texte der Songs sind sozusagen kompliziert. Die Musik selbst klingt zwar zunächst nach Jedermanns-Lieblings-Indie-Folk-Pop-Truppe, entfaltet aber bereits beim ersten Hören einen zauberhaften Reiz, kurz: Dem jungen Trio (und seinen Helfern im Studio) ist eine ganz erstaunliche Platte gelungen. Tragik, wir wissen es seit wir in der Schule ‚Weltliteratur‘ lesen mussten und daran beinahe verzweifelten, entsteht infolge des Zusammenpralls von ‚Schicksalsmächten‘ und dem Einzelnen. ‚Tragisch‘ erscheinen uns Ereignisse, die beim besten Willen nicht abzuwenden waren. Weil aber Nick Vallee und seine Mitstreiter nicht im antiken Griechenland leben, sondern im modernen Kanada, und weil sie auch keine Dichter, sondern Musiker sind, ist die Fallhöhe des Helden glücklicherweise ganz moderat. ‚Bittersüß‘ nennen Folly and the Hunter das Gefühl, das die Songs auf „Tragic Care“ beschreibt.  Auch wenn Zeilen wie »I give up, I repent,my money is spent. I am rotting to the core« („Vultures“) düster klingen, die Musik dazu hat stets etwas Schwebendes, Schwereloses, beinahe Fröhliches, viel eher Dur als Moll. Hieraus entsteht ein reizvoller Kontrast, der sich beim wiederholten Hören noch steigert.

Das verwundert nicht, denn die Arrangements sind bisweilen recht komplex. Mitunter meint man, nicht drei, sondern vielleicht dreizehn Musiker zu hören. Die junge Band geht hier weit über den stets etwas verschlurften Indie-Folk-Stil hinaus. Und sie hat ein Faible für eingängige Melodien, auch wenn die Texte, hierin wieder ganz dem Geiste des Storytellers oder Singer-Songwriters verpflichtet, in dem Sinne authentisch sein sollen, dass ihnen eigene Erfahrungen zugrunde liegen. Was letztlich zählt, sind aber weniger die Erlebnisse des Sängers, sondern vielmehr das, was er und seine Mitstreiter daraus machen – bei „Tragic Care“ schaffen sie eine ganz eigene Atmosphäre: »I’m with you for the feel not for a fate to seal« („There are no Great Redeemers“).

Lange Rede, kurzes Ende: Anhören!

Dirtmusic „Lion City“

Dirtmusic "Lion City"

[amazon_image id=“B00HS95I1M“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Dirtmusic „Lion City“[/amazon_image][rating=4]Gelungene Mixtur aus Rock, Singer-Songwriter-Poesie, Electronica und „Wüstenblues“.
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„Lion City“ ist der vierte Streich der Zusammenarbeit zwischen Chris Eckman (von den „Walkabouts“) und Hugo Race („True Spirit“) als „Dirtmusic“ und der zweite Teil der im malischen Bamako 2012 entstandenen Aufnahmen mit Musikern aus Mali und dem Senegal.

Man kann sich sicherlich eine angenehmere Umgebung für eine Musikproduktion wünschen, als inmitten eines Bürgerkrieges und Militärputsches in einem Tonstudio in der malischen Hauptstadt zu sein und drinnen Musik zu machen, während draußen Gewalt herrscht. „Lion City“ reflektiert mit musikalischen Mitteln das politische Geschehen im unmittelbaren Umfeld, so singt  im Song „Red Dust“ Samba Touré: »Wie können wir versöhnen und vergeben? Wir müssen aufhören zu kämpfen.« Der nach wie vor aktuelle Bezug zur Lage Malis entstand nicht von Ungefähr, sondern kam auch daher, dass Eckman und Race nach eigenem Bekunden nicht mit fertigen Arrangements und Titeln, sondern vielmehr mit flüchtigen Entwürfen und ‚rohen‘ Ideen nach Afrika reisten, die erst während der gemeinsamen Proben und Aufnahmen mit den afrikanischen Musikern zu Songs reiften. Dementsprechend ist die Herangehensweise eine andere als bei vielen World-Music-Projekten.

Die beteiligten Musiker wie der schon erwähnte Touré, die Band „Tamikrest“, die Sängerin Aminata Traoré, Ben Zabo und etliche andere sollen nicht bloß eine musikalische ‚exotische Farbe‘ liefern, sondern integraler Bestandteil des Projektes sein, was über weite Strecken gut gelingt. Natürlich ist Eckmans Stimme sofort für alle unverkennbar, die auch nur einen einzigen Song der Walkabouts kennen. Daher könnte „Movin‘ Careful“ beinahe ebenso gut auf einer Veröffentlichung seiner alten Band sein, wenngleich die „klagenden“ Gitarren von Race und Ousmane Mossa (von der Touareg-Band Tamikrest) eher wieder Richtung afrikanischen ‚Wüstenblues‘ weisen. Andererseits sind solche Genre-Schubladen obsolet im Zeitalter des Internets und des internationalen künstlerischen Austausches und sie widersprechen dem Grundgedanken Chris Eckmans, der eine »gemeinschaftlich-demokratische Herangehensweise« bei den Aufnahmen favorisierte und intendierte. Ablesen kann man dies auch daran, dass die Autorenschaft der Titel nicht nur den IndieVeteranen Eckman und Race, sondern von Fall zu Fall auch den anderen Mitwirkenden zugeschrieben und der Platz vorm Mikro mal vom einen, dann wieder vom anderen eingenommen wird. Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe also.

Entscheidend ist jedoch nicht, wir erinnern uns an diese grundlegende Erkenntnis des deutschen ‚Bummdeskanzlers‘ Kohl, wie etwas entsteht, sondern »was hinten rauskommt«. In diesem Falle eine faszinierende Collage aus Electronik, vom Ethno-Kitsch befreiter World-Music, Singer-Songwriter-Skizzen und Rock.

Manchmal magisch, manchmal gut gemeint mit appellativen Texten an die menschliche Vernunft  und überwiegend unterhaltsam und spannend: Die beteiligten Musiker kennen und schätzen sich seit Jahren, als sie sich erstmals auf einem Festival in der Sahara begegneten und zusammen spielten. Die musikalische Zusammenarbeit zwischen den alten Recken aus der Indie-Szene und den Wüstenbluesern und Afro-Popmusikern erweist sich erneut als Bereicherung für beide Seiten – und als Vergnügen für die Hörer, die diesem Album in großer Zahl zu wünschen sind.

(Foto: Glitterhouse)

 

 

Antonija Pacek „Soul Colours“

[amazon_image id=“B00I2MP71U“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“ ]Antonija Pacek „Soul Colours“[/amazon_image][rating=3]Solo-Klavier-Musik mit Anklängen an Einaudi, Jarrett oder Satie.

Zugegeben: Beim ersten Hören fand ich die Sammlung unbegleiteter Klavierstücke auf Antonija Paceks Debüt „“Soul Colours““ vor allem entspannend und stellenweise einfach ‚schön‘. Beim zweiten Mal gefielen mir die insgesamt 15 Aufnahmen mit Titeln wie „Once in a Wintertime“, „Made in Agony“ oder „Hope“ immer noch, wenngleich stellenweise einfach einmal ein wilder, kurzer Ausbruch, forciertes Tempo oder was auch immer zu fehlen schien. Antonija Pacek spielt ihr Klavier nämlich nach ‚altmodischer‘ Façon, irgendwo zwischen Keith Jarretts „Köln-Concert“, Saties „Gymnopedies“ oder den populären Zyklen Ludovico Einaudis.

Dahinter steckt durchaus ein Programm, nämlich vermutlich die Intention der spätberufenen Künstlerin – sie gibt mit Ende Dreißig ihr musikalisches Debüt – der globalen Zappeligkeit, dem schrillen Bling-Bling der Event-Kultur in Pop, Jazz und Klassik den überwiegend ruhigen Fluss eines Solo-Klaviers entgegenzusetzen, quasi den melodischen Ausdruck einer empfindsamen Seele. Weil sich dieser jedoch über die Länge einer ganzen CD erstreckt, führt die durchaus boshafte Annahme (die mich zeitweise beschlichen hat, ich gestehe), hier wolle jemand vor allem seine eigene Interpretation der »schönsten Momente klassischer Musik« im Sinne weichgespülter Radioprogramme oder ‚romantischer‘ Konzerte darbieten, durchaus ins Leere. Und das nicht alleine deswegen, weil es sich um Eigenkompositionen handelt und sanfte Geigen völlig fehlen, sondern auch, weil hinter der Ausführung ein Konzept und Stil-Willen erkennbar sind: Es geht, der Titel verdeutlicht es bereits, um Gefühle und Seelenlagen, um deren musikalischen Ausdruck und um die Imagination, welche die Klänge beim Hörer hervorrufen sollen.

Pacek trägt dabei nicht zu dick auf, denn lakonische Songtitel wie „Too Late“, „Imagination“ oder „Life goes on“ lassen dem Hörer genügend Raum für eigene Bilder zur musikalischen ‚Begleitung‘. Wenn uns ‚kritischen Kritikern‘ dennoch der Stachel der Polemik juckt, dann vor allem deshalb, weil diese Musik so völlig aus der Zeit gefallen zu sein scheint, was durchaus Antonija Paceks Absicht gewesen sein dürfte. Erfreuen wir uns also einfach an diesen Klängen, denn hinter jedem Idyll lauert im Zweifel bereits der nächste Schrecken.

Hauschka „Abandoned City“

hauschka_-_abandoned_city[rating=3] Ziel verfehlt, Treffer gelandet

Immer wieder sieht man Bilder von Geisterstädten, die Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen verlassen haben. Sie gleichen sich in gewisser Weise, egal ob sie aus Prypjat (Ukraine) stammen, das nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl geräumt wurde, oder im Viertel mit den UFO-Häusern von Sanzhi Pod City gemacht wurden. Der meist poetische Ansicht des Verfalls vermittelt eine geisterhafte Stille, die allenfalls von aufgescheuchten Tieren gelegentlich unterbrochen wird.

Hauschkas musikalische Beschreibung von aufgegebenen Städten vermittelt ganz andere Eindrücke. In ihnen geht es so quirlig zu wie Samstagnacht im angesagtesten Club einer westlichen Metropole, in Hauschkas Bildern ist es so drängelnd wie zur Rushhour in Tokio. Da ist es kaum ruhig und ohne die bedrückende Leere, die Unglücke in der Regel hinterlassen. Hauschkas Musik ist dafür zu überladen und zu antreibend und passt als solche eher zum „Dritten Mann“, der durch den Untergrund gehetzt wird oder zu den „Modernen Zeiten“, die den Menschen überfordern.
Man tut gut daran, Bilder zu vergessen, in denen Katastrophengebiete surreal-märchenhaft gezeichnet werden und sich ohne Erwartung an Hauschkas „Abandoned City“ anzunähern. Denn der stilistisch nicht wirklich einzuordnende Hauschka hat seine eigene, vibrierende Klangwelt geschaffen, die weniger wie die Stille danach wirkt, sondern vielmehr als der Lärm vor und während des Untergangs, der Katastrophe wirkt.

Dass der Komponist und Pianist Volker Bertelmann unter dem Künstlernamen Hauschka auftritt, verweist auf die Popkultur, seine Ausbildung auf die Klassik, und mit seiner Musik schlägt er neue Wege ein. Oft dramatisch und kraftvoll wirkt sie mitunter wie apokalyptische Filmmusik – auch, weil die dem präparierten Klavier entlockten Töne manchmal wie rhythmisierte Geräusche wirken. Seine pulsierenden Arpeggien erinnern an die Minimal Music eines Philip Glass, gelegentlich meint man entfernte Reminiszenzen an die Disco-Kultur herauszuhören, und immer wieder flicht Hauschka auch lyrische Passagen in seine treibenden Rhythmen.
Im Vergleich zu den Bildern der kargen Räumen und der unterschwellig dramatischen Ödnis, die sich beim Gedanken an aufgegebene Orte einstellen, wirken Hauschkas Kompositionen zu dynamisch und seine Arrangements immer wieder überladen. Doch seine Musik ist stark genug, um neue, eigene Bilder entstehen zu lassen.

Offizielle Homepage von Hauschka

(Foto: City Slang)

Temples „Sun Structures“

Temples "Sun Structures"

[amazon_image id=“B00GPOTS3U“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Temples „Sun Structures“[/amazon_image][rating=3] Popmusik als vergnügliche Geschichtsstunde oder: Ja ist denn heut‘ schon wieder 1967?

Die Temples sind eine blutjunge Truppe aus Merry Old England, was man ihrer aktuellen CD „Sun Structures“ allerdings überhaupt nicht anhört, im Gegenteil: Als Hörer meint man einen Sampler mit amerikanischer und britischer Psychedelia der gloriosen Sechziger Jahre zu hören. Selig, sind all jene, die sich noch an diese Zeit erinnern (was angesichts des Drogenkonsums in den späten Sechzigern schon mal schwierig werden könnte). Oder Moment einmal: Sind das etwa zarte Anklängen an den Britpop der Neunziger?

Die Temples verfügen unüberhörbar sowohl über genügend graue Zellen (oder ihre Drogen hinterlassen keine bleibenden Schäden) als auch über ein gut bestücktes musikalisches Archiv. Ihre Musik kommt wie ein großer Almanach daher und lädt stets aufs Neue zum Ratespiel ein, woher man diese Orgel, jenes Melodiefragment, das Schlagzeugintro oder die Gesangslinie schon einmal gehört hat. Es fällt einem in aller Regel gerade nicht ein, was aber nicht weiter schlimm ist, denn unterdessen kommen mindestens drei neue Zitate, bei denen es einem genau so geht. Sinnlos, dem hinterher zu forschen, während die Platte läuft. Also einfach entspannen und genießen: Der CD-Player als Zeitmaschine. Andere mögen verächtlich ‚Retro‘ murmeln und die indirekten Zitate als Abklatsch betrachten, doch in Wahrheit ist dies ein augenzwinkerndes Spiel mit den hellen und dunklen (und bunten, Anm. d. Red.) Winkeln der Pop-Geschichte, den jungen zur Unterhaltung, den älteren zur Erinnerung (die ja eh trügerisch ist und nicht mehr so gut funktioniert). Das Beste daran: Man kann die Jungs sicher bald live hören und muss keine schlecht gealterten Originale von Anno Dunnemals betrachten, die ihre Songs von 1967 (oder 1997) zu imitieren versuchen. ‚Authentisch‘ ist ohnehin weder das eine noch das andere, aber die „Sun Structures“ sind ein harmloses Vergnügen ohne Reue.

Auch wenn Noel Gallagher oder Johnny Marr die Temples gerade zum ‚Next Big Thing‘ ausrufen, wollen wir die Kirche des Pop doch im Dorf lassen. „Sun Structures“ ist eine nette, kurzweilige Platte geworden, aber ob das Projekt länger als eine oder zwei Saisons hält, bleibt abzuwarten. Entscheidend wird sein, ob es den Musikern um Sänger-Gitarrist James Bagshaw gelingt, eine eigene künstlerische Identität zu entwickeln. Bis dahin vergnügen wir uns am psychedelisch gefärbtem Retro-Sound der leichteren Sorte, also jener Spielart, die weniger zugedröhnt, sondern eher etwas spleenig klingt.

Homepage der Temples

Temples bei → Youtube

(Cover: Pias)

Aidan Knight „Small Reveal“

Aidan Knight "Small Reveal"

[amazon_image id=“B009SOHG8I“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Aidan Knight „Small Reveal“[/amazon_image][rating=2] Gebremstes Temperament und opulente Arrangements: Ein bisschen weniger wäre mehr gewesen

Aidan Knight ist ein junger kanadischer Singer-Songwriter und  Aidan Knight sind (s)eine fünfköpfige Band, die bereits im Herbst 2012 ihre zweite CD, „Small Reveal“ fertigstellte, die erst jetzt in diesem Frühling ihren Weg in unsere Gefilde gefunden hat.

Knights musikalisches Temperament als Sänger darf man getrost als gebremst bezeichnen; überschäumende Lebensfreude ist seine Sache nicht, eher schon in opulente Arrangements verpackte Fragen wie »Am I singing for strangers?« (in „You Will See The Good In Everyone“) oder die Klage »Leave me alone in this world«, die erste Zeile des Songs „“The Master’s Call““. Warum so traurig, möchte man fragen oder auch: was jammert der Mann stellenweise eigentlich so herum? Immerhin geht es ihm um Themen wie den Status des Künstlers, das eigene kreative Ich und darum, ein Album  einzuspielen, in dem man darüber reflektiert, ein Album einzuspielen.

Musikalisch kommt das genauso ambitioniert herüber wie in den Texten, denn Streicherarrangements folgen auf Bläsersätze, eine verzerrte Gitarre wird abrupt abgewürgt und die junge Band, deren Namensgeber gerade Mitte Zwanzig ist, sprengt das gewohnte Schema eines Independent-Pop-Outfits deutlich. „Small Reveal“ gefällt immer dann, wenn Aidan Knight, der Sänger und Songwriter, mal ein bisschen weniger ambitioniert und bemüht künstlerisch daher kommt und einfach seine Geschichten mit sparsameren Arrangements erzählt oder dann, wenn seine Mitstreiter nicht in den ausgetüftelten Klanglandschaften beinahe verloren gehen.

Vermutlich ist Mr. Knight ein ernsthafter, junger Künstler, dessen Gedankenwelt keineswegs, wie in frühen Tagen des Pop, vornehmlich um Autos, Mädchen, Mode, Musik oder gar samstägliche Schlägereien kreist. Beim Hören des Albums fragt man sich, woher dieser Drang zur bedeutungsschwangeren Kunst stammt? Ein bisschen weniger wäre mehr gewesen, dabei hat die Platte aber durchaus ihre Songs und spannenden Momente.

Aidan Knight → Homepage

Aidan Knight „Small Reveal“ komplett bei → Bandcamp anhören

(Cover: Revolver)

Die Heiterkeit „Monterey“

Die Heiterkeit [rating=3] Charmant unzulänglich – das Trio macht Schwächen zu Stärken.

Am Hinweis, dass die Sängerin des Hamburger Trios „Die Heiterkeit“ auf bemerkenswert Weise nicht singen kann, führt kein Weg vorbei. Dabei ist das keineswegs außergewöhnlich. Stella Sommer ist nicht die erste in der Welt der Popmusik, der es an der stimmlichen Voraussetzung für eine erfolgreiche Karriere fehlt. Musiker wie Lou Reed und Blixa Bargeld oder die im Zusammenhang mit Die Heiterkeit immer wieder strapazierten Nico und Hildegard Knef haben dieses Manko ausgeglichen, indem sie sich die Musik auf ihr mangelndes Ausdrucksvermögen hin zuschnitten. Nico wirkte gerade deswegen cool und Hildegard Knef authentisch.

Ihr Asset der ungewöhnlichen Stimme kombiniert das Trio mit den seit den 80er-Jahren bekannten Stärken: Der simplen Umsetzung im Stil der ‚Genialen Dilettanten‘ und der richtigen Attitüde. Passend dazu hat Heiterkeit-Bassistin Rabea Erradi den melodiös-warmen, unverwechselbaren Bassklang von Joy Division ausgegraben, und auch der Keyboard-Einsatz weist in diese Ära.

Die Heiterkeit auf Reminiszenzen und Attitüde zu reduzieren, wäre ungerecht. Denn die drei spielen mit der stringent unterkühlte Haltung, die sie an den Tag legen. Wenn Stella Sommer an eine Textzeile ein tiefes „hoho“ dranhängt, damit der Reim gewahrt bleibt, darf man das durchaus als Verballhornung der Schlagerkonvention. Anders als etwa bei den Lassie Singers oder bei Almut Klotz nähern sich die simplen, getragenen Melodien des Trios dem Schlager kaum an. Und auch die Texte von Stella Sommer sind weit davon entfernt. Obwohl sie oft von der Liebe handeln ist sie weit weg von falschen Gefühlen und eindeutigen Aussagen. Stella Sommer – die immer mit eigenwilligen Einfällen und Wendungen überrascht – lässt in ihren Texten viel im Ungefähren, was diese eigenständiger macht als die gefällig-melancholischen Arrangements, zu denen sie vorgetragen werden.

Offizielle Homepage von Die Heiterkeit

(Foto: Staatsakt)