Schlagwort: Pop

Jack Savoretti „Written in Scars“

Jack _Savoretti_Albumcover_800(1)[rating=2] Erwachsener, eigenständiger, erdverbundener

Drei Jahre sind vergangen, seit Jack Savoretti sein letztes Album veröffentlicht hat. Zwischenzeitlich hatte er nach eigenem Bekunden mit dem Gedanken gespielt, die Musik an den Nagel zu hängen. Die Gründe, die er dafür anführt, kommen einem bekannt vor: Ärger mit Managern und Plattenfirmen, Karrierepläne, die nicht aufgehen, die wirtschaftlich unsichere Existenz als Künstler. Den Sinneswandel, der ihn dazu bewogen habe, es nochmals zu versuchen, begründet er so: Seine Entscheidung, die professionelle Musikerlaufbahn aufzugeben, habe den Erfolgsdruck von ihm genommen. Die so gewonnene neue Freiheit habe zu einem Kreativitätsschub geführt. Mit anderen Worten: Savoretti komponierte fleißig und traf in der Zwischenzeit die für ihn richtigen Leute: Etliche Songs auf „Written in Scars“, etwa der erste Titel „Back to Me“, entstanden in Zusammenarbeit mit Samuel Dixon, der auch mit Adele arbeitet. Diese Songwriting-Partnerschaft wirkte sich fruchtvoll auf Savoretti aus, denn er änderte seine Arbeitsweise. Am Anfang habe dieses Mal der Rhythmus und der Sound gestanden, erst danach seien Strukturen entstanden.

Das ist sicherlich keine gewöhnliche Herangehensweise für einen Singer-Songwriter, und sie führte denn auch zu einem hörbar anderen Klangbild. Klang Savoretti am Anfang seiner Karriere noch ein wenig wie eine Art Quersumme des romantischen Troubadours, so wirken Stimme und Kompositionen nunmehr erwachsener, eigenständiger, erdverbundener. Die unverwechselbare warme, kratzige Stimme hat er behalten. Aber auch diese scheint nunmehr gereifter, wenngleich immer noch mädchenschwarm-tauglich.
Musikalisch geht Savoretti mit der neuen Platte trotzdem keine wirklichen Risiken ein. Eingängige Popmelodien paaren sich mit Country und Soul-Elementen in mitunter etwas forciertem Rhythmus. Das sei von Profis clever ür die junge weibliche Zielgruppe hergestellt, könnte man spotten. Natürlich singt Savoretti von unerfüllter Sehnsucht und vom Wunsch, die Geliebte möge nach Hause kommen, und er singt auch vom Freiheitswillen jedes Individuums oder von der großen Kraft der Liebe. Dazu lässt der Produzent an passender Stelle ein paar Geigen schmelzen oder er bringt einen gefühlvollen Chor im HIntergrund.

Ist das zuviel der Romanze? Vielleicht, aber der Mann tritt ja nicht an als der zornige Prophet aus dem brennenden Dornbusch. Und: ja, auch männliche Hörer werden dabei ganz gut unterhalten, solange sie keine komplexen Arrangements oder Soundtüfteleien erwarten. Das ist gut gemachter Pop – nicht mehr, nicht weniger. Jack Savoretti müsste also gar nicht so traurig in die Zukunft blicken, wie er das auf dem Cover von „Written in Scars“ macht.

Irie Révoltés „Irie Révoltés“

IRIE_REVOLTES_ALBUM_COVER_500[rating=1] Texte bieder und bemüht, Musik auf ausgetretenen Pfaden

Neuestes Werk der ‚freien Revoltierenden‘, wie sich die neunköpfige Band aus Heidelberg nennt. Die Truppe mag live eine sichere Bank sein, auf Festivals für gehörige Stimmung sorgen und voller Engagement gegen die Mißstände dieser Welt musizieren. Was aber tut sich auf der neuen Platte? Nichts, was man nicht erwarten würde.
»Ha – Unsere Wut bricht aus! Zuviel Wut im Bauch«, heißt es im ersten Titel „Ruhe vor dem Sturm“. Aber mehr als eine leise Brise erzeugt dieser Sound nicht. Und Aufbruchstimmung lassen die ‚kämpferischen‘ Texte auch nicht aufkommen. Zu allgemein, zu vage, zu klischeebeladen oder zu Agitprop-bieder kommen diese Moritaten über den »sozialen Aufschrei, der von Knüppeln begraben wird« daher, wie sie in „Stopper“ singen. Auch die Klage über das vom Terminstress bestimmte Leben („Zu schnell“) mutet nicht sonderlich originell an. „Jetzt ist Schluss“ wiederum, eine Anklage gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, bietet keine kritische Bestandsaufnahme der Gegenwart, sondern setzt Beobachtungen in Szene, die eher den Neunzigerjahren zuzuordnen sind, als Asylbewerberheime unter dem Beifall von bierseligen Nachbarn brannten. Gelegentlich sollte man auch die eigenen Überzeugungen einer kritischen Prüfung unterziehen, sonst wird das ‚gut gemeint‘ nicht zu ‚gut gemacht‘.

Zündet stattdessen die Musik? Unüberhörbar mischen die Heidelberger französischen Rap, Hip-Hop, Dancehall, Reggae, dezenten Elektro-Beat und einiges mehr zusammen. Mit netten Songs wie „Jetzt“ mit seinem Neue-Deutsche-Welle-Retrosound bringen Irie Révoltés gelegentlich die Füsse zum Wippen. Wirklich revolutionär ist an ihrem neuen Album jedoch wenig bis nichts: Irie Révoltés klingen wie in den Neunziger- und frühen Nullerjahren. Wer ohnehin meint, dass sich alles wiederholt, wird das nicht weiter schlimm finden. Dass aber auch heute noch »Alle Fäuste von Kairo bis Berlin hochgehen«, wenn wir „Fäuste Hoch“ hören, darf zumindest bezweifelt werden – und ganz allgemein auch, dass man dieses Album wirklich braucht.

Keine Revolte, natürlich nicht, aber immer noch gilt, was Mister Jagger schon Ende der Sechzigerjahre wusste: »What can a poor boy do but play in a Rock’n’Roll-Band?« Den Sound der Rebellion liefern Irie Révoltés  nicht, bestenfalls einen kleinen Beitrag zum Soundtrack der sich alternativ wähnenden Jugend. Auf die Barrikaden treibt diese Platte aber niemanden, weder im Guten noch im Schlechten.

 

Jonathan Jeremiah „Oh Desire“

[rating=3] Ein durchweg gutes Album
Der britische Sänger und Gitarrist Jonathan Jermiah legt mit „Oh Desire“ ein hörenswertes neues Album vor. Stilistisch durchaus uneinheitlich, wie man es von Jeremiahs bisherigen Veröffentlichungen kennt, pendelt auch dieses zwischen Folk-Jazz, Jazz, Pop und Soul. Deutliche Reminiszenzen an Otis Reddings unzerstörbaren Klassiker „Sitting on the Dock of the Bay“ liefert etwa sein „Smiling“, und bei „Walking on Air“ stellte sich die leise Erinnerung an „Solid Air“ von John Martyn ein. Jeremiah steht also auf den Schultern großer Musiker der sechziger und siebziger Jahre, was zusätzlich durch die analogen 16-Spur-Aufnahmen, mit denen die Titel aufgenommen wurden, akzentuiert wird.
Bleibt da Raum für eigenes? Sein Debüt 2011, „A Solitary Man“, wirkte bei aller Qualität seiner angenehmen Bariton-Stimme teils glatt und zerfahren, und mit dem Himmel voller Geigen, der beinahe in jedem Song dräute, auch überproduziert. Die etwas eigenwillige musikalische Mischung aus Big-Band-Jazz, Folk, Soft-Rock und seinem Aussehen, das wie eine Kreuzung aus Cat Stevens und modernem Hipstertum wirkt, schienen ihn nur bedingt zum Posterboy sensibler junger Menschen zu prädestinieren, die am virtuellen Lagerfeuer neben dem CD-Player Wärme suchten. Allein, der Erfolg wirkte bestätigend. Nun, einige Jahre später, sind die Big-Band-Anklänge weitgehend verschwunden, und die Geigen schluchzen ebenfalls dezenter. Nur im kurzen Eröffnungstitel und in „Rosario“ dominieren sie noch.
Geblieben ist die Liebe Jeremiahs zum klassischen Soul, zu Folk-Jazz und Soft-Pop, zur angejazzten Ballade. Hinzugekommen ist zudem eine feste Band, die bei der Umsetzung der vielfältigen musikalischen Ideen den Ton trifft. Und dieses Mal produzierte der Künstler selbst. Herausgekommen sind 13 Songs, die jedoch nicht alle im musikalischen Gedächtnis haften bleiben. Aber „Oh Desire“ ist, etlichen überraschenden Wechseln in der musikalischen Farbe zum Trotz, ein durchweg gutes Album geworden. Dem Thema Verlangen verhaftet, erzählt Jeremiah mit seiner angenehm tiefen Stimme Geschichten vom Tod der Eltern, Mythen der irischen Heimat („The Devils Hillside“), wie er diese Mythen aus den Erzählungen der Mutter als Kind kennen lernte oder vom hektischen, lauten Großstadtleben in London und der Sehnsucht nach dem vermeintlich einfachen Leben in der Natur. In „Rising Up“ räsonniert er darüber, daß – anders als in seiner Jugend – Bildung und Fleiß jungen Leuten keineswegs den Aufstieg ermöglichen oder auch nur erleichtern. Die sozialen Barrieren seien so hoch wie nie.
In der Summe seiner Musik und Texte bleibt sich Jonathan Jeremiah mit „Oh Desire“ treu, wenngleich einige behutsame, gleichwohl hörbare, Änderungen die neue Veröffentlichung prägen.   

Erfolg „“Erfolg““

„Ich nenn‘ mich jetzt Erfolg, dann habe ich in meinem Leben immer Erfolg“ singt Erfolg im Song „Erfolg“ auf seinem Debut-Album „Erfolg“. Ganz schön dick aufgetragen, möchte man meinen, aber keine Angst: der will nur spielen. Er ist Johannes von Weizsäcker, Berliner Musiker, der statt „Rock“ im weiteren Sinne auf seinem Erstling, ja was eigentlich genau macht? Chanson? Kabarett? Pop? Das Erbe von Andreas Dorau und Max Goldt verwalten? Hier können wir nur mit einem entschiedenen „Vielleicht, vielleicht auch nicht“ antworten. Der beste Weg zum Erfolg ist, zunächst unbefangen seine Platte zu hören. Schnell wird klar, dass die angenehme – im weiteren Sinne – Popmusik sich dem Sprechgesang von Weizsäcker unterordnet. Wo dessen stimmliche Qualitäten nicht weiter reichen, hilft „“Der beste Damenchor aller Zeiten““, der natürlich genau das nicht ist, sondern eine muntere Ansammlung sangeskundiger Damen im Berliner Popformat. Das macht aber überhaupt nix, denn die Miniaturen oder Moritaten Weizsäckers, pardon: Erfolg, handeln von Leuten wie dem „Brillenmann“, der im angesagten Hauptstadtchic allerorten bei Konzerten, Lesungen oder Vernissagen Gesichtspflege betreibt. „Mausmann“ erweitert die Betrachtung prekärer Existenzen um einen zeitweiligen Fondsmanager, der gerne kocht, im Fernsehen zu Ruhm kommt und sein Leben fern aller deutschen Kochtöpfe beschließt und der „Gute Mann“ wird mit Verve besungen, jedoch aus ironischer Sichtweise. Das alles ist gut gemacht und beobachtet, aber trotzdem nur Musik für „gewisse Stunden“, die aber in jenen genau richtig ist. So ist das Leben, zumindest jenes von Teilen des Berliner Szenebiotops, das allen Tendenzen der Gentrifizierung zum Trotz – oder gerade deswegen? – wächst und gedeiht. Angenehm daran, daß das gewisse Pathos und – seien wir offen – die bisweilen große Berliner Schnauze hier fehlen, sondern stattdessen hintergründiger Humor, sanfte Ironie, leichte Melancholie und geschärfte Beobachtungsgabe dominieren. Zwar etwas textlastig, das Ganze, aber „mal was anderes“ aus dem kleinen deutschsprachigen Eck im Pop-Universum.[rating=3]

 

 

Lymland „Rymdar“

lymland_rymdar_artwork[rating=3]Filmmusik ohne Film, oder: Klänge, welche die Imagination des Hörers beflügeln sollen.

Es ist durchaus ambitioniert, was das junge schwedische
Duo Lymland hier auf seinem zweiten Album „Rymdar“ zum Besten gibt. Sonja Perander und Jerker Kaj verzichten dabei auf
Gesang und allzu plakative Elemente, sondern setzen mit Synthies, Piano, Gitarren und unterstützenden weiteren Instrumenten wie Glockenspiel, Trompete und Cello auf ruhige, fließende Klänge. Beinahe könnte man an Minimal-Sound denken oder Brian Enos „Music for Airports“. Die neun Titel strahlen Harmonie und Ruhe aus und bilden in ihrer Gesamtheit einen reizvollen, ruhigen Klangfluss.

Das kommt einfach und ohne großes Programm daher und weckt, die an lange filmische Einstellungen von Naturmotiven denken lassen. Tatsächlich bezieht sich das Duo auf die Filme des schwedischen Regisseurs Roy Anderson, deren Kenntnis für den Hörgenuss jedoch nicht unerlässlich ist.
Obwohl in den einzelnen Stücken nichts wirklich Spektakuläres passiert, dringen die eher sanften Klänge aufs Angenehmste ins Ohr, um sich durch die Gehörgänge ins Gehirn fließend und warm zu verbreiten. Daher sind die einzelnen Titel eher als Teil eines größeren Ganzen gedacht, das Momente der Entspannung und Ruhe im großstädtischen Gewusel erzeugt.

Programm-Musik also? Vielleicht – aber nicht, um Wohlfühlatmosphäre für Konsumenten in Shopping-Centern zu erzeugen, sondern vielmehr um dem unablässigen Strom an hektischen Sinnesreizen für die Dauer eines Albums zu unterbrechen. Das gelingt gut. Und obwohl sie nicht auf Dramatik setzt, propagiert die Band auch nicht die reine Idylle. Mit bewusst einfach gehaltenen Stücken bietet das Dzo mit gelegentlichen Störgeräuschen durchsetzte Harmonie. In seiner Konsequenz über die gesamte Länge eines Albums kann man diesen Ansatz beinahe schon radikal nennen.

Trotzdem das bestimmende Element der Kompositionen Wiederholungen mit langsamen Veränderungen sind, zeigen Sonja Perander und Jerker Kaj auch, dass sie ein Händchen für Melodien haben. Die beiden Musiker sehen aus wie Hipster, kleiden sich wie Hipster und machen demnach also Musik für Hipster? Nicht ganz: Der Spaß, der sich einstellt, wenn man sich auf Konzept und Klang einläßt, erfordert weder Coolness noch Stilbewußtsein – und schon gar keine Abgrenzung von allem möglichen. Neugierde und Offenheit reichen. Nicht jeder Moment auf „Rymdar“ überzeugt; aber alles in allem verdient diese sympathische junge Band viele Zuhörer. Und wir Hörer wiederum haben bei all dem hektischen Gedudel, das aus vielen Lautsprechern klingt, auch mal eine angenehme Unterbrechung verdient.

Archive „Restriction“

restriction[rating=2]Streckenweise überzeugend, in anderen Momenten beliebig

Archive gehörten seit ihrer Gründung 1994 durchweg zur Regionalliga der britischen Musikszene. Die Gründe mögen häufige Besetzungswechsel, ein hörbarer Mangel an eigenständigen musikalischen Ideen oder einfach der Umstand gewesen sein, daß es stets bessere andere Bands des gleichen Genres gab. Ihr neues Album „Restriction“ ist keineswegs geeignet, dies nachhaltig zu ändern, was ein wenig schade ist. Immerhin bietet es einige überraschende Momente, so etwa im Eröffnungssong „Feel it“, auf dem New-Wave-Schrammel-Gitarren aufs Angenehmste das Synthie-Gewaber und die klagende Stimme unterbrechen. Aber bereits im Titelsong des Albums, „Restriction“ langweilen die Herrschaften mit Endlos-Klangschleifen und repetetiven Rhythmen. Der dritte und vierte Song, „Kid Corner“ und „End of our Days“, klingen wie aus dem Archiv von Morcheeba – aber die hatten sowohl bessere Synthies als auch mehr Pop-Appeal.

Die Sänger wechseln sich ab, die Klänge und Ideen ebenso. Das wäre nicht schlecht, wenn man nicht ständig das Gefühl hätte, dass sich die Akteure allzu häufig aus dem Fundus bekannter Arrangements, Ideen und Klängen anderer Leute bedienten. Vielleicht heißt die Band deshalb Archive?
Wir wollen jedoch nicht ungerecht sein. Wie die Band auf „Third Quarter Storm“ den schnulzigen Wohlklang durch Lärm-Einschübe stört, ist ganz hübsch. Und wenn auch das Getrommel auf „Ride in Squares“ nicht wirklich neu ist, so gefällt es dennoch. Dagegen langweilen Titel wie „Crushed“, denn eine wirkliche Idee oder auch nur etwas Spannendes konnte ich darin nicht ausmachen. Dafür versöhnt das irgendwie an Bond-Titelsongs (aus der Adele-Phase) erinnernde Ballade „Black and Blue“ ein bißchen. Den Abschluß bilden zwei längere Titel: „Greater Goodbye“ und „Ladders“, die „Restriction“ jedoch nichts mehr Wesentliches hinzufügen, sondern erneut den Bogen von Lärm zu Pop und zurück schlagen – große Momente inklusive. Am Songwriting sollten „Archive“ aber weiter arbeiten und vielleicht beim nächsten Mal versuchen, sich ein wenig stärker zu fokussieren. Aber fürs Durchhalten seit 1994 gibt’s einen Extra-Bonus.

Bryan Ferry „Avonmore“

ferry cover[rating=3] konsequent vertraut

Die Rock-Musik ist mittlerweile in den Status der musealen Konservierung getreten. Rock-Dinosaurier liefern aufwändige Boxen als Werkschauen, mit dem einen oder anderen Outtake oder alternativen Fassungen bekannter Songs als Zuckerl. Und die mit den Akteuren gealterten Hörer kaufen brav ein ums andere Mal. Bryan Ferrys bereits im November letzten Jahres erschienenes Album „Avonmore“ paßt ganz gut in diese Kategorie, auch wenn der mittlerweile 69-Jährige Sänger keineswegs vorhat, eine ’schöne Leich‘ abzugeben, sondern neue Kompositionen vorlegt.
Wo Ferry draufsteht, ist aber auch Ferry drin, wenngleich das Coverfoto und seine Stimme verdächtig jung aussehen und klingen. Im realen Leben sieht unser Mann für einen Endsechziger proper aus, und was die Tontechniker anstellen, um den samtenen Schmelz der Stimme zu erzeugen, wollen wir so genau gar nicht wissen. Diese klingt nämlich keineswegs nach einem Mann, der im siebten Lebensjahrzehnt steht. Bereits die ersten Takte von „Loop de Li“ erscheinen konsequent vertraut und ganz so, als ob die letzten dreissig Jahre spurlos an Mr. Ferrys Musik vorbeigegangen wären. Macht aber nix, denn der musikalische Kosmos Ferrys seit „Avalon“ ist sattsam bekannt und wird in diesem Opus auch kein bißchen erweitert. Hochkarätige Begleiter wie Nile Rogers oder „Smiths“-Gitarrengott Johnny Marr, Bassist Marcus Miller und andere Edelsöldner sorgen für gediegene Qualität, Ferry ist stimmlich – wie auch immer – auf der Höhe, und die gediegene Mischung aus Ennui, Melancholie und flotteren Momenten wie in „One Night Stand“ machen „Avonmore“ zu einem hörbaren Album. Bei der großartigen Schnulze vom seligen Robert Palmer, „Johnny and Mary“, dem letzten Song des Albums, kommen nostalgische Gefühle auf – ewig nicht mehr gehört, aber das Original gefällt besser.
„Avonmore“ ist eine nette Platte, die zwar keine Überraschungen bietet, aber immerhin einen gut aufgelegten Bryan Ferry, der auch mit 69 noch keine Lust auf Rente hat. Er geht zwar sparsam mit seinem Potential um, hat aber immerhin noch nicht alles Pulver verschossen , auch wenn dieses noch aus den späten Achtzigern bis Neunzigern des letzten Jahrhunderts stammt.ferry cover

Veras Kabinett „Ungetüm“

Veras Kabinett "Ungetüm"

Veras Kabinett [rating=2] Schwache Texte zu einer schönen musikalischen Bandbreite

Dass wir alle Egoisten seien führte uns der kürzlich verstorbene FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher in seinem letzten Buch vor. Eine Klage, die man – auch wenn sie immer wieder von Menschen entschärft wird, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen – periodisch vernimmt. An einer Veränderung zweifelnden Kulturpessimisten macht Vera Mohrs Mut. „Wir glauben daran“, singt sie für eine nicht näher bezeichnete Gruppe. Das macht sie allerdings so kleinmädchenhaft, dass man ihr nicht unterstellen möchte, dass es tatsächlich zu sinnvollen Veränderungen kommt.

Mohrs‘ Herangehensweise ist der eines Frank Schirrmacher diametral entgegengesetzt: derart naiv, dass sie es bereits mit den ersten Songs beinahe schafft, alles zu ruinieren und man sich nach bissigen Kritikern wie Heinz Ratz sehnt. Mit welcher sprachlichen Wucht hätte dieser besungen, wie gnadenlos die männlichen Küken in den Hühnerzuchtanstalten aussortiert und getötet werden? So aber bleibt es doch bei der richtigen Einstellung – aber der Wille zählt nicht für das Werk. Ihre Themen sind mitunter abgekaut („Püppchen II“), und immer wieder gibt es schiefe Bilder. So schaukelt sich Karussell hoch, und die dem Tod geweihten Küken sind eine „tapfere Legion“.

Das ist schade, denn musikalisch ist das von einigen Gastmusikern unterstützte Trio durchaus gediegen. Es zeigt sich mal schlicht und dann wieder elegisch, bietet sanft rockige Einwürfe oder gibt sich romantisch-düster. Die Sängerin garniert zwar ihre Melodien immer wieder mit überflüssigen Verzierungen, aber ihre Stimme ist – wenn sie nicht allzu sehr ins Naive gleitet – einnehmend.

Offizielle Homepage von Veras Kabinett

(Foto: Traumton)

Lily and Madeleine „Fumes“

Lily and Madeleine Fumes Cover[rating=2]Netter Folk-Pop mit geringem Tiefgang.

Lily and Madeleine fahren Boot – beziehungsweise: Sie liegen verträumt in einem Ruderboot, das auf ruhigen Gewässern treibt. Schön anzusehen, die sich räkelnden jungen Damen.
Keine Spur von ‚giftigen Dämpfen‘ („Fumes“), nirgends, nicht ein Hauch von Gefahr. Stattdessen dominieren wie schon beim letztjährigen Debüt der beiden Schwestern zuckersüße Harmoniegesänge. Tolle Stimmen, keine Frage, wenn auch mit typisch amerikanischem Zungenschlag, was die Art und Weise des Gesangs anbelangt. Das können die beiden.
Im Ergebnis bekommt der Hörer eine Mischung aus radiokompatiblem Pop und Folk-Pop light, teils opulente Ararrangements, stimmlichen Wohlklang und eher harmlose Texte, die problemlos auch auf Radiostationen des mittleren Westens gut ankommen dürften. Auch eine verhallte Prise Lana del Rey fehlt nicht. Ist das nicht ein bißchen viel?

Schon der Karrierstart der siebzehn und neunzehn Jahre alten Damen aus Indianapolis mutet an wie am Reißbrett von einem cleveren Produzenten erdacht. Der Legende nach stellten Lily und Madeleine selbst produzierte Videos bei Youtube ein, die – Überraschung! – nicht nur sehr gut waren, sondern auch massenhaft angeklickt worden sein sollen. Danach kam es, wie es kommen musste: Ein lokaler Produzent – Paul Mahern, der unter anderem für John Mellencamp gearbeitet hat – wurde auf sie aufmerksam. Mit Hilfe des Songwriters Kenny Childers, ebenfalls in Bloomington, Indiana ansässig, entstanden etliche Songs und bald folgte das Debutalbum.
Auch wenn „Fumes“ ohne diese beiden und ohne die Mitwirkung ungenannter, versierter Studiomusiker nicht denkbar wäre, sind Lily and Madeleine wohl keine Marionetten in Händen abgezockter Manager und Produzenten. Dafür stehen sie in den zehn Songs des Albums doch zu sehr im Mittelpunkt. Jedoch offenbart das Cover vielleicht unfreiwillig, daß andere die Ruder in der Hand zu halten scheinen, während ‚Lil and Mad‘ versonnen übers tiefe Wasser gleiten. Hoffentlich zieht kein Sturm auf …

Auch wenn ihrer Musik (noch) die unverwechselbare Handschrift fehlt – Ecken und Kanten leider ebenso –, versöhnen der stimmliche Wohlklang und die entspannte, leicht wehmütige Stimmung des Albums. Das ist für Herbsttage, golden oder regnerisch und stürmisch, ganz nett.

Zoot Woman „Star Climbing“

zoot-woman-star-climbing[rating=1] Songs mit der Treibkraft eines atemlosen Schneckenrennens

Am Anfang der sogenannten Nullerjahre kamen Zoot Woman auf die clevere, vielleicht auch in der Luft liegende Idee, elektronische Musik und treibende Gitarren zu kombinieren. Ihr Debütalbum „Living in a Magazine“ gilt auch heute noch vielen als Bluechip des Electroclash. Die Generation Golf, die entweder längst im SUV mit zwei Kindersitzen herumkurvt oder jeden Tag in der U-Bahn zum Job rumpelt, mag sich vielleicht gerne an den Sound der eigenen Jugend erinnern. Allein: Die Unbeschwertheit ist vorbei. Mit dem Alter kamen die Verpflichtungen und der Bauchansatz, und zu den Enttäuschungen der Jugend gesellten sich die Frustrationen der gar nicht heroischen Gegenwart. Dagegen helfen auch die neuen Veröffentlichungen der alten Helden nicht, denn so schön wie früher wird es nimmermehr.
Andererseits scheint das kaum jemand zu stören. Denn selbst Bands, die ihre letzte kreative Idee bereits vor Jahrzehnten hatten, versilbern ihre fünf Minuten Ruhm mit überflüssigen CDs und spielen ihre alten Platten vor einem begeistertem Publikum in entbehrlichen Konzerten Note für Note nach. Zoot Woman machen es auf ihrem vierten Album ebenso und produzieren belangslosen Synthiepop. Nett, nichtssagend und weitgehende störungsfrei rauschen ihre Songs am Hörer vorbei. Krachen oder zusammenprallen, wie es das englische Wort „Clash“ impliziert, tut hier rein gar nichts mehr.
„Star Climbing“ ist nichts als Muzak, untermalt prima das Quengeln der Kinder auf dem Schulweg, wirkt wunderbar sedierend im täglichen Stau und stört selbst in der hellhörigen Neubauwohnung die Nachtruhe nicht.